GUNTER CORNEHL
VIDEOGRAPH
Mein Bezug zu Martin Kube
Gunter Cornehl - Tavant, im Januar 2018
„Das habe ich getan“ sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben — sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich — gibt das Gedächtnis nach.
Ich zählte 1955 ganze 5 Jahre, als mein Vater starb. Davon kriegte ich aber überhaupt nichts mit, denn meine Mutter und er, der sehr viel älter war als sie, haben nie zusammen gelebt und geheiratet. Und so habe ich an meinen Vater keinerlei Erinnerung. Wohl aber an Martin Kube. Meine Mutter und er haben sich Ende der 50er Jahre in dem traditionsreichen Hamburger Tanzcafé "Lübscher Baum" kennengelernt,
das wahrlich auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Gegründet wurde es
nämlich schon im Mittelalter und zwar am 10.10.1258 als Schenke am Lübecker Schlag-
baum. "Gefunkt" hat es bei den beiden in einer Tanzpause, wie ich viel später erfuhr. Und
zwar auf einer Treppe: Martin ging hinauf , meine Mutter hinunter. Er drehte sich zu ihr
um, einen Tick später wendete sie ihren Blick nach oben und ihre Blicke trafen sich für
einen kurzen Moment. Das reichte für Martin aber absolut. Bei der nächsten Möglichkeit
ging er an ihren Tisch und forderte sie zum Tanz auf. So realisierte sich das damals jedem
Hamburger bekannte Motto „In Erfüllung geht Dein Traum, wenn Du tanzt im Lübschen
Baum“. Die beiden wurden ein Paar. Für meine Mutter begann die wohl glücklichste Zeit
in ihrem Leben. Martin Kube zog schon bald in unsere geräumige Wohnung in Hamburg
Wandsbek ein. Ich konnte mein Zimmer behalten und da hatte ich ihn nun plötzlich mit
12 Jahren, den Vater. Zwar nicht den echten, aber einen, der ganz lebendig in mein Leben eintrat. Aufregend war es und toll. Jetzt war ich wie alle anderen und hatte auch so einen Vater. Aber es gab auch Wermutstropfen. Denn vorbei war es mit meiner Freiheit. Jetzt war Pünktlichkeit angesagt. Um 18:00 musste ich zum Abendbrot zu Hause sein, keine Minute später. Dabei hatte ich doch alle Jahre vorher eine gute Zeitspanne, um nach Hause zu kommen und konnte in Ruhe zu Ende spielen. --- Meine Mutter Irmgard mit Martin Ende der 50er Jahre:
Meine Erinnerungen sind gemischt. Eine spannende Sache war natürlich sein Auto, mit dem wir Ausflüge machten und das er nutzte, um für das Ladengeschäft meiner Mutter Einkäufe im Großhandel zu machen. In nicht so guter Erinnerung sind mir dagegen noch manche Spaziergänge am Sonntag, an denen ich teilnehmen musste. Zumeist ging es in den benachbarten Eichtal-Park und zog sich arg in die Länge. Viel lieber wäre ich zu Hause geblieben in meinem Zimmer, hätte geschmökert und mein Ding gemacht. Und dann war da noch etwas. Denn pötzlich hatte ich meine Mutter, in der wenigen Zeit, die nach ihrer Arbeit blieb, nicht mehr für mich. Ich musste sie mit meinem neuen Vater teilen. Und der hatte für mich seltsame, nicht nachvollziehbare Privilegien bei ihr. Ich war verwirrt, als sich nach wenigen Jahren die Wege der beiden wieder trennten. Erst viel später wurde mir klar, dass meine liebe Mutter es nicht verstanden hatte, für sich selbst und die Beziehung zu Martin ausreichend Freiräume zu schaffen, sie ging förmlich auf in der Führung unseres kleinen Ladengeschäftes und arbeitete von morgens früh bis abends spät, viel auch noch am Wochenende. So war es nur eine Frage der Zeit, bis es zur Trennung kam. Viele Jahre hörte ich nichts von ihm, bis er am am 4. Juli 1974 in der Rubrik "Menschlich gesehen" vom Hamburger Abendblatt erschien.
Zweimal ist Martin Kube in den 70er/80er Jahren zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes vorgeschlagen worden. In beiden Fällen hat sein damaliger Dienstherr, die Polizeibehörde Hamburg -Martin Kube war damals Kriminalkommissar- dem Verfahren nicht zugestimmt.
Dies sei mit dem Beamtengesetz nicht vereinbar, hieß es. Kaum zu glauben, wenn man seine Geschichte heute erfährt. Er hat sich davon nicht abbringen lassen und ist nach seiner Pensionierung seinen Weg beharrlich weiter gegangen. Erst 2007 mit 83 Jahren hat er sein aktives Engagement für Ecuador beendet. Das hält ihn natürlich nicht davon ab, sich auch heute noch aktiv einzubringen und seine Meinung zu vertreten. Ich habe das gemerkt in der Abstimmung mit ihm, als es um die Videos ging, um die Darstellung seines Engagements.
Nicht selten haben wir beide in den letzten Jahren, besonders in den letzten Monaten, gerungen um manches Detail. Dabei ging es dann auch mal gut zur Sache. Am Ende aber steht für uns beide ein gutes Ergebnis und wir können zufrieden und froh sein mit unserer Kooperation. Schade nur -und das sehen wir beide so- dass wir damit nicht schon vor 25 Jahren angefangen haben. Aber, es ist ja nie zu spät. Und wir freuen uns jetzt beide über das Erreichte und auf die weiteren Begegnungen und Gespräche.
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Tanzlokal "Lübscher Baum" in den 50er Jahren
Darin wurde schon Martins engagierte private Entwicklungshilfe für Ecuador beschrieben. Ein bisschen stolz war ich auf ihn. Und ich trauerte so mancher Gelegenheit nach, ihn besser kennen zu lernen. Mit den Erinnerungen ist aber es so eine Sache, wir biegen sie uns mit den Jahren etwas zurecht. Also habe ich an die Einschränkungen meiner Freiheit gedacht, in der gemeinsamen Zeit mit ihm, und mich damit getröstet. Auch habe ich 1974 nicht im Mindesten die Tragweite seiner Projekte erkannt. Das kam erst viel später. Genauer gesagt vor etwa 3 Jahren. Da erhielt ich über YouTube eine Nachricht von ihm. Er war im Internet auf eines meiner Videos gestoßen und war ganz beeindruckt davon. Über Gespräche kamen wir uns näher, und ich erfuhr zum ersten Mal mehr zu seinem Engagement in Ecuador. Nun war ich beeindruckt. Gleich bei unserem nächsten Aufenthalt in Deutschland besuchten meine Frau, Claudie, und ich ihn und seine Marga in Travemünde. Wir hatten ein gutes, herzliches Gespräch, und spontan schlug ich vor, sein Engagement in kleinen Videofilmen zu dokumentieren und für die Nachwelt zu erhalten. Unsere Kooperation begann und damit eine ganz neue Beziehung zwischen uns beiden.